Eine muntere und naturverbundene Gruppe

Erstellt von Christina Hohmann |

Halbtägiger Besuch bot Einblicke in den Alltag der Wohngruppe Nümbrecht

Nümbrecht. Über die Autobahn, vorbei an Wiesen, Feldern und Wäldern führt der Weg von Freudenberg nach Nümbrecht, einer rund 17.000 Einwohner großen Stadt im Oberbergischen Kreis, etwa 40 Kilometer östlich von Köln. Auch wenn die Lage es nicht auf den ersten Blick vermuten lässt, so gehört die dort beheimatete Wohngruppe Nümbrecht doch zur Einrichtung Freudenberg/Siegen der Evangelischen Jugendhilfe Friedenshort. Grund genug, die entlegene Gruppe einmal zu besuchen!

Die beiden Mitarbeiterinnen Angelika Dederichs und Christina Schnell sind bereits dabei, Gemüse und Obst für das Mittagessen zu schneiden, als ich mit der FSJlerin Lisa Müller ankomme. In einer Stunde werden die ersten Kinder aus der Schule zurückkommen. Drei Jungen und vier Mädchen wohnen in der Nümbrechter Gruppe, sechs von ihnen sind Geschwisterpaare. Verantwortlich sind für sie vier Mitarbeitende sowie eine Anerkennungspraktikantin und FSJlerin. 2013 wurde die Wohngruppe aus einer damaligen Familienwohngemeinschaft gegründet. Vier der Kinder lebten schon zu dieser Zeit zusammen und sind dementsprechend sehr vertraut. „Es ist hier wirklich das Zuhause für die Kinder“, bestätigt Mitarbeiterin Christina Schnell. 

Beim Mittagessen besprechen die bereits anwesenden Mädchen mit den Betreuerinnen, welche Aufgaben zu erledigen sind. Die achtjährige Leonie möchte in ihrem Zimmer ausmisten, Julia muss zum Kieferorthopäden, Michelle möchte Englisch lernen und etwas im Haushalt helfen.

Erinnerungen schaffen

Julia ist zunächst etwas vorsichtig, als sie mir das erste Mal im Flur begegnet. Als wir uns die Fotocollagen an den Wänden anschauen und ich sie frage, was darauf zu sehen ist, wird sie redefreudiger. Schließlich läuft sie zu einem Schrank mit Fotoalben, holt ihres hervor und setzt sich mit mir auf die große Couch, um ihre Bilder zu zeigen. „Diese Alben sind dafür da, dass wir uns erinnern, wie wir einmal aussahen, was wir einmal gemacht haben. Es soll eine Erinnerung an die Wohngruppe sein“, erläutert mir später Julias ältere Schwester Michelle. Gerne erzählt Julia mir von ihrem Pflegepferd „Teddy“, dem Urlaub auf dem Ponyhof und den Aktionen zu Weihnachten oder Karneval. Michelle geht in die siebte Klasse und ist die Älteste in der Gruppe. In ihrem gemütlichen Zimmer mit Postern an den Wänden und vielen Büchern im Regal sprechen wir über ihr Leben in der Wohngruppe und in Nümbrecht. Sie berichtet von ihrer Tätigkeit in der Freiwilligen Feuerwehr und ihrem regelmäßigen Besuch des in der Nähe gelegenen Jugendzentrums. Besonders gut gefällt ihr, dass die Gruppe viele gemeinsame Ausflüge macht und alle eigentlich immer gut zusammenhalten. Der Altersunterschied zwischen den Kindern sei dabei kein Problem. Auch die regelmäßigen Besuche des Ponyhofes seien etwas Besonderes, stolz zeigt sie mir ihr selbstgestaltetes und gerahmtes „Pflegepferd-Diplom“.

Der Ponyhof ist ein wichtiges Element der Gruppe. Er gehört den Eltern einer Betreuerin und jedes der Kinder hat ein eigenes Pflegepferd. Neben vielen gemeinsamen Ausflügen, bastelt die Gruppe auch zusammen Jahreszeiten entsprechende Fensterbilder oder Adventskalender. Abends, so erzählen mir Christina Schnell und der junge Lukas, liegen alle gerne auf der Couch und lesen Märchen. Für die nächsten Abende wünscht sich Lukas aber nach „all den Mädchengeschichten“ mal eine Geschichte für Jungs, vielleicht ja „Ali Baba und die 40 Räuber“?

Kinder reden mit

Partizipation wird in der Gruppe sehr groß geschrieben. Jeden Sonntag im Wechsel gibt es einen Kindertreff oder einen von den Betreuerinnen gestalteten Gruppenabend. Der Kindertreff ist eine „Sitzung“ aller Kinder aus der Wohngruppe, die ohne die Betreuer abgehalten wird. Hier wird auch über den monatlichen Ausflug beraten. Ein Protokoll der Sitzung hält die besprochenen Punkte sowie eine Budgetplanung fest. Michelle berichtet als Gruppensprecherin darüber hinaus regelmäßig einer der Kinderschutzbeauftragten Irene Schwarz in Siegen über das Leben in der Wohngruppe. Auf die Frage, wie sie sich in dieser verantwortungsvollen Rolle fühle, antwortet sie abwägend: „Manchmal fühlt sich die Rolle gut an, manchmal nicht so, wenn ich dann nach Siegen fahren muss und ich mich eigentlich verabredet habe und dies dann absagen muss.“ 

Mitarbeiterin Christina Schnell erzählt mir, wie gerne die Kinder bei der alltäglichen Arbeit mit anpacken. „Sie verinnerlichen alles, was wir sagen und bringen sich selbst mit ein.“ Jeder hat eine bestimmte Aufgabe übertragen bekommen, der gewissenhaft nachgegangen wird, zum Beispiel dem Zahnputzdienst. In einem Projekt vor Weihnachten haben sich die Betreuerinnen mit den Kindern zum Thema „Werte und Normen“ Gedanken gemacht und eine „Schatzkiste“ angelegt mit Antworten zu den Fragen „Was ist für mich wertvoll?“, „Auf was möchte ich nicht verzichten?“, „Was bedeutet mir viel?“. In diesem Zusammenhang entwickelte die Gruppe auch Hausregeln, die für jeden sichtbar aufgehängt sind. Eine von den Kindern als wichtig erachtete Regel: „Wir zeigen mehr Dankbarkeit.“

„Ein behütetes Umfeld“

Die ländliche Lage der Wohngruppe wirkt sich auch auf den Alltag aus. Manches ist vor Ort, oft müssen aber für Einkäufe oder Dienstleistungen weitere Wege mit dem Auto gefahren werden. „Ohne unsere FSJlerin könnten wir die ganzen Fahrten nicht bestreiten“, so Christina Schnell. Auch die Eltern der Kinder sind im Siegener Raum heimisch, so dass die Entfernung mit dem Friedenshort-Bus überbrückt werden muss. Ein Vorteil: Alle sieben Kinder passen in ein Auto, was Unternehmungen flexibler macht. 

„Es ist hier schon ein behütetes Umfeld“, stellt Christina Schnell fest. Sie hat zuvor in der Wohngruppe Niederschelden gearbeitet und daher einen direkten Vergleich zwischen einer Gruppe im eher städtischen Milieu und ländlichen Raum. Medien wie Smartphones und Computer spielen im Leben der Kinder noch eine untergeordnete oder gar keine Rolle. Statt vor dem Fernseher zu sitzen, zieht es sie nach draußen. So berichtet auch Michelle, dass sie viel im Wald oder Kurpark spielen und eine große Wiese zum Fußballspielen entdeckt haben. Ponys sind übrigens nicht die einzigen Vierbeiner, von denen die Kinder begeistert sind: „Tiere finden sie ganz toll! Wenn unsere Gruppenleiterin Frau Hömske mit ihren Hunden hier ist, sind die Kinder ganz ruhig und nehmen Rücksicht“, erzählt Christina Schnell. Ihre Schulfreunde haben die Kinder alle in der Nähe, können diese mit dem Fahrrad oder zu Fuß besuchen, bei ihnen übernachten oder selbst zur Übernachtung einladen. „Die Haustür geht nachmittags ständig auf und zu“, berichtet Christina Schnell. Auch die Nachbarschaft habe überhaupt keine Vorurteile und sei total lieb. „Es gibt hier keinerlei Berührungsängste.“

Inzwischen sind auch die anderen Kinder zurück aus der Schule, machen ihre Hausaufgaben und verschwinden bald wieder mit ihren Verabredungen nach draußen. Für mich endet nun der Besuch in Nümbrecht und ich fahre mit den Eindrücken einer naturverbundenen, munteren und herzlichen Gruppe zurück nach Siegen.

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