Mutter Eva bewies Weitblick – die GmbH entsteht

Die „Heimat für Heimatlose“ als rechtliche Grundlage der ab 1910 entstehenden Kinderheimaten wird 1913 zur GmbH, was wir im Friedenshort heute gemeinhin als Maßnahme großen Weitblicks bezeichnen. Nach unseren Informationen handelt es sich dabei – im Verbund mit einer evangelischen Stiftung – um die erste gemeinnützige GmbH in der Diakonie überhaupt! Es ist kennzeichnend für Mutter Eva, dass sie selbst nicht viel Aufhebens um diesen wichtigen Schritt macht. Für Menschen da zu sein, die in Not sind, Kindern eine Heimat zu geben, ihnen Gottes Liebe zu vermitteln und auf Gottes Führung zu vertrauen – das sind Aspekte, die für Eva von Tiele-Winckler wesentlich sind, auch wenn es darum geht, über den Friedenshort und seine Arbeit zu berichten.

Vermutlich die erste gemeinnützige GmbH der Diakonie

So ist die GmbH-Gründung für Mutter Eva im besten Wortsinn nur eine Randnotiz. Lediglich in wenigen Zeilen geht sie im Kapitel „Schlussbemerkungen“ ihres Buches „Nichts unmöglich“ darauf ein. Darin wird zumindest ansatzweise deutlich, dass es damals um eine große Tragweite ging. Nach der Eröffnung der ersten Kinderheimat auf dem Warteberg im Jahr 1910 bekam der Friedenshort etliche neue Angebote für Häuser und Grundstücke, um die „Heimat für Heimatlose“ zu erweitern und neue Kinderheimaten zu gründen. Dies war vor allem der regen Vortragstätigkeit Mutter Evas zu verdanken, die im ganzen damaligen Deutschen Reich unterwegs war, um über die diakonische Arbeit des Friedenshortes zu berichten. Wenn man so will, war dies ihre persönliche Form von Öffentlichkeitsarbeit.

Diese Liegenschafts-Angebote nahm der Friedenshort dankbar an. Wie Mutter Eva darlegt, wurden die neuen Häuser und Grundstücke zunächst unter dem Dach der 1897 gegründeten Stiftung Friedenshort versammelt. Den kurzen Zeilen ist zu entnehmen, dass es wohl seitens der damaligen Reichsregierung ein deutliches Veto gab. Demnach habe die Stiftung nicht ausreichendes Eigenkapital, um diese Erweiterungen unterhalten zu können! Außerdem wäre – wie Mutter Eva ausführt – eine hohe Steuerlast auf den Friedenshort zugekommen. „Da war die Verlegenheit groß. Was sollten wir tun?“, schreibt Mutter Eva.

Diese Weichenstellung war existenziell

Nicht näher bezeichnete Berater rieten dann zur Gründung einer GmbH, „die aufgrund ihres wohltätigen Zweckes willen steuerfrei ist.“ Wie Mutter Eva am Ende dieser Schlussbemerkungen ausführt, traten die Grundstücksbesitzer der neu gegründeten Kinderheimaten als Gesellschafter in die GmbH ein und übergaben ihren Besitz als Stammeinlage in die Gesellschaft. Ausdrücklich verweist sie darauf, dass keine Verantwortung, aber auch keine Rechte damit verbunden waren. Als „bequeme Form ein so umfangreiches Werk zu führen und in mancher Beziehung mehr zu empfehlen als die Form eines eingetragenen Vereins oder einer Stiftung“ – so enden Mutter Evas Bemerkungen hierzu.

40 Kinderheimaten kurz vor dem Ausbruch des 2. Weltkriegs

Rückblickend lässt sich sagen, dass diese Weichenstellung der GmbH-Gründung existenziell war, da es sonst gar nicht zu den später immer zahlreicher werdenden, überall verstreuten Kinderheimaten hätte kommen können. Immerhin war deren Zahl bis kurz vor Ausbruch des 2. Weltkriegs bereits auf rund 40 angewachsen. Und vermutlich würde es die Jugendhilfearbeit des Friedenshortes in dieser Ausdehnung und geografischen Verteilung, wie sie sich heute darstellt, ohne die GmbH-Gründung gar nicht geben.

Von Henning Siebel