Der Sternenbund – 1913 entsteht ein besonderer Kreis aus Freunden und Förderern

„Ganz deutlich stand vor unserem geistigen Auge das Bild, wie all die vielen glücklichen Kinder, die noch ihr Elternhaus haben, als leuchtende Sternchen ihre Liebe hineinstrahlen lassen sollten in das Leben der Heimatkinder, die schon in früher Jugend soviel Liebe entbehren mussten.“

Mit diesen Worten beschreibt Eva von Tiele-Winckler die Gedanken, die ihr und Schwester Annie Whisler im September 1913 auf dem Weg zur Eröffnung der Kinderheimat in Naumburg kamen. Plötzlich war ihnen klar, wie der bereits 1911 angedachte Bund zwischen hilfsbereiten Kindern und ihren heimatlosen Altersgenossen heißen sollte: Sternenbund wollten sie ihn nennen, und so wurde einen Tag später die erste Sternchengruppe in Naumburg gegründet.

Die Anfänge

Bereits im Vorhinein hatten Kinder durch vielfältige Aktionen Geld gesammelt, das Kindern in den Kinderheimaten des Friedenshortes zugutekommen sollte. Der allererste kleine Förderer war Werner Modersohn, der die Entstehung der „Heimat für Heimatlose“ mit großem Interesse verfolgte und ein beachtliches Engagement an den Tag legte, um die Kinder der ersten Heimat auf dem Warteberg zu unterstützen. Bei der jährlichen Allianzkonferenz in Blankenburg lief er unermüdlich zum Bahnhof, um das Gepäck der ankommenden Gäste zu transportieren.

Mit strahlenden Augen habe er die zehn oder zwanzig Pfennige für seine Botendienste entgegengenommen, um sie dann an die Friedenshort-Kinder weiterzugeben, schreibt Sr. Annie Whisler, die damalige Leiterin des Sternenbundes und Stellvertreterin Mutter Evas. Eigentlich sei Werner das erste „Sternchen“ gewesen, wenngleich er nicht als offizielles Mitglied auftaucht. Bevor der Bund 1913 gegründet wurde, starb Werner im Alter von nur acht Jahren. Sein Foto ist aber auf der ersten Seite des Mitgliederbuches verewigt. Mit großem Engagement sammelten auch andere Kinder Geld, wobei ihr Erfindergeist keine Grenzen kannte. So wandelte eine Gruppe in Pommern ihr Kochhäuschen im Park kurzerhand in das „Restaurant zum lustigen Kirschbaum“ um und verkaufte dort einen ganzen Vormittag über Speisen und Getränke. Dabei kamen immerhin stolze 30 Mark zusammen.

Eine Mitgliedskarte für die „Sternchen“

Mit der Gründung des Sternenbundes, der rasch auf 4.000 Mitglieder anwuchs, wurden diese und ähnliche Aktionen nun zusammengeführt und strukturiert. In der seit 1913 veröffentlichten Monatsschrift „Im Dienst des Königs“ (Vorläufer des heutigen Hausmagazins „Das Friedenshortwerk“) stellte Sr. Annie Whisler die Ideen des neuen Bundes vor und regte ihre jungen Leser und Leserinnen dazu an, sich bei Interesse bei ihr zu melden. Jedes neue Mitglied – „Sternchen“ genannt – erhielt daraufhin eine von Eva von Tiele-Winckler selbst entworfene Karte, auf der jeweils der Name vermerkt wurde. Die ersten beiden namentlichen Einträge im Sternenbund gehörten dem Geschwisterpaar Erasmus und Irmgard, die gerade einmal vier und drei Jahre alt waren. Jedes „Sternchen“ habe einen kleinen Freund oder eine Freundin aus den Kinderheimaten bekommen, schreibt Sr. Eva Frenkel. Sr. Eva Frenkel gehörte selbst bereits seit 1916 dazu.

In den zwanziger Jahren leitete sie das Sternenbüro, 1939 trat sie die Nachfolge von Schwester Annie Whisler als Leiterin des Sternenbundes an. Briefe wurden ausgetauscht, enge Freundschaften geschlossen und zu Festtagen wie dem Geburtstag oder an Weihnachten bereiteten die Sternchen ihren Schützlingen eine kleine Freude, was natürlich zu zahlreichen strahlenden Augen führte. Auch nach China, wo Schwestern des Friedenshortes seit 1912 missionarisch tätig waren, knüpften die Mitglieder des Sternenbundes persönliche Beziehungen und sendeten ihre Gedanken und Gebete dorthin.

Aus dem Sternenbund wird der Sternenkreis – schwierige Zeiten nach dem Zweiten Weltkrieg

In der Monatsschrift „Im Dienst des Königs“ erhielten die „Sternchen“ eine eigene Rubrik, in der ein an alle Kinder gerichteter Brief von der „Sternentante“ sowie Berichte über die Kinderheimaten abgedruckt waren.

Mit den Jahren wuchs der Sternenbund zunehmend an. Ein Mitgliedsbuch nach dem anderen sei gefüllt worden, schreibt Sr. Eva Frenkel. Dabei blieb dennoch genug Zeit und Raum für ein ganz persönliches Flair, denn statt lange Listen und Statistiken zu führen, gestaltete man die Akten auch mit Fotografien und Auszügen aus Briefen. Natürlich erhielten auch die „Sternchen“ Grüße zu ihrem eigenen Geburtstag und zu Weihnachten.

Zu den „Sternchen“ gesellen sich die „Sterne“

Die Mitglieder wurden jedoch nicht nur zahlreicher, sondern auch älter, so dass zu den Sternchen nun der Zweig der großen „Sterne“ hinzukam, dem sich zahlreiche Erwachsene anschlossen. Einige ließen sich sogar in den Dienst für den Friedenshort rufen. Wie Sr. Eva Frenkel 1963 schreibt, waren 85 der damaligen Schwestern Mitglieder des Sternenbundes.

Aus rechtlichen Gründen wurde der Sternenbund im August 1933 umbenannt und hieß ab sofort „Sternenkreis“. Durch die Umstände des Zweiten Weltkrieges wurde die Arbeit des Sternenkreises stark beeinträchtigt. Es wurde deutlich schwieriger, Zusammenkünfte der einzelnen Gruppen zu organisieren. Die jungen Menschen seien anderweitig beansprucht gewesen, schreibt Sr. Eva Frenkel rückblickend, und hätten so den Aufgaben der Sternenarbeit nicht mehr gut nachkommen können. Dennoch sei eine große Anzahl treu geblieben. Im Oktober 1938 – zum 25-jährigen Bestehen des Sternenkreises – gelang es 60 Mitgliedern trotz widriger Bedingungen, sich zur Tagung im Friedenshort einzufinden. Diese Form von Zusammentreffen hatte Eva von Tiele-Winckler einst 1918 initiiert, um Tage des Austauschs und Beisammenseins zu ermöglichen.

Mit der Ausweisung des Friedenshortes aus Miechowitz und den neuen Standorten in Heiligengrabe, vorübergehend Bad Berleburg und schließlich Freudenberg, war die Sorge groß, dass man sich aus den Augen verloren habe. Doch die Mitglieder des Sternenkreises hatten Erkundigungen eingeholt und meldeten sich nach und nach zurück, so dass die Verbindungen neu geknüpft werden konnten. In West- und Ostdeutschland zählte der Sternenkreis dann noch jeweils 1.000 Mitglieder. Elf Jahre nach dem letzten Treffen im Friedenshort konnte 1949 in der Kinderheimat in Mistlau endlich wieder eine Sternentagung realisiert werden. Ihr folgten fast jedes Jahr weitere an wechselnden Orten.

Nachdem sich in den 70er Jahren neue Formen der sozialpädagogischen Hilfen zur Erziehung (vor allem auch ambulante und teilstationäre) entwickelten, schwanden die Möglichkeiten unmittelbarer Patenschaften. Vor allem, weil sich auch die Verweildauern in den Einrichtungen verkürzten. Nur noch sehr selten konnten die Sterne jeweils ein Kind über viele Jahre hinweg betreuen. Aus den Sternenkreis-Mitgliedern sowie weiteren Spendern entstand daher ein Freundeskreis aus Förderern, der bis heute dem Friedenshort in besonderer Weise verbunden ist und seine Arbeit unterstützt. Eine Besonderheit bildet der seit Jahrzehnten tatsächlich noch bis heute existierende Sternenkreis um Esther Wagner in Sindelfingen. Seit ihrer Konfirmation 1946 ist sie ein „Stern“. Die Leitung des 1920 gegründeten Sternenkreises hatte sie von ihrer Mutter übernommen. Und bis heute trifft sich der Kreis der mittlerweile betagteren Damen zwischen 77 und 95 Jahren regelmäßig am 6. Januar und hält dem Friedenshort die Treue. Besonders treu wurde zu DDR-Zeiten der Friedenshort in Heiligengrabe unterstützt. Weitere Besonderheit sind die beiden existierenden Fördervereine für die Behindertenhilfe des Tiele-Winckler-Hauses in Berlin sowie für die Region Süd der Evangelischen Jugendhilfe Friedenshort.

Von Christina Hohmann