20 Jahre Paulstraße und ein bitteres Jubiläumsgeschenk

Erstellt von Helena Scherer und Daniel Helmes |

Die Wohngemeinschaft "Paulstraße" der Tiele-Winckler-Haus GmbH – Behindertenhilfe -, Berlin-Moabit feierte am 1. März ihr 20jähriges Bestehen. Gerne hätten die Bewohner sich alles Gute für die nächsten 20 Jahre gewünscht, doch die Aussichten sind düster.

Berlin-Moabit. Vor 20 Jahre öffnete in der Berliner Paulstraße die erste Wohngemeinschaften der Tiele-Winckler-Haus GmbH (TWH) - Behindertenhilfe - in Berlin. Die Bewohner, Nachbarn und Mitarbeiter feierten das Fest gemeinsam am 1. März in der Wohnung, die damals 1993 mit einer Berliner Immobiliengesellschaft gemeinsam geplant und eigens für die Ansprüche der Bewohner behindertengerecht gebaut wurde.

Gerne hätten die Jubilare dieses Fest ausgelassen gefeiert und sich alles Gute für die nächsten 20 Jahre gewünscht, doch die Aussichten hierfür sind düster. Der Vermieter überreichte nur zwei Wochen zuvor ein besonderes „Jubiläumsgeschenk“: Eine knappe Mietverdopplung. Für die Bewohnerinnen und den Bewohner der Wohngemeinschaft „Paulstraße“ war diese Nachricht ein regelrechter Schock. Sie haben kein ausreichendes eigenes Einkommen und können von ihrer Sozialhilfe die verlangte Mieterhöhung nicht leisten, ihnen wurde also indirekt gekündigt. Die TWH-Regionalleiterin Helena Scherer hat damals die Wohnung mit dem Vermieter geplant und die Wohngemeinschaft konzipiert. Sie versprach den Bewohnern bei der Jubiläumsfeier sich mit aller Kraft für den Erhalt der Wohnung einzusetzen und spannte symbolisch einen großen bunten Rettungsschirm auf. „Wir hoffen, ein Einlenken des Vermieters zu erreichen“, so Scherer.

Die vier Bewohner und ihre Gäste ließen sich die Feststimmung aber nicht verderben. Gisela Nebel, Renate Thielitz, Carmen Feind und Michael Diederichs und ihre Betreuerinnen, Anne Schröter-Nieländer und Jana Hopp erlebten im Laufe des Tages viel Solidarität. Auch der Nachbar Ewald Zimmermann, er ist selbst von der Mieterhöhung betroffen und Frau Carola Türpe, die Pfarrerin der örtlichen evangelischen Kirchengemeinde St. Johannis, waren der Einladung gefolgt und sagten ihre Unterstützung zu. Unter den Gästen waren auch nahezu alle ehemaligen Bewohnerinnen, die einige Erinnerungen aus der Zeit in der Paulstraße und Neuigkeiten miteinander austauschten. So hat sich auf dem Fest so manche Freundschaft angebahnt oder wieder neu belebt. Die TWH-Regionalleiterin Helena Scherer dankte den Mitarbeiterinnen und vor allem der Leiterin Frau Schröter-Nieländer ganz herzlich für die sehr gute Arbeit und das große Engagement für jeden einzelnen Bewohner. Schröter-Nieländer hat die Wohngemeinschaft mit aufgebaut und leitet sie seit der Gründung.

„An einem solchen ‚Geburtstagsgeschenk‘ hat man schon zu knabbern“

Dennoch schwebt über der Wohngemeinschaft seit dem verhängnisvollen Einschreiben eine dunkle Wolke, die trotz des bunten Rettungsschirms der Regionalleiterin für schwere Zeiten sorgen kann. Es wäre nicht nur problematisch auf die Schnelle geeigneten neuen Wohnraum zu finden, es wäre eine regelrechte Tragödie für die Bewohner, wenn sie tatsächlich aus ihrem gewohnten Umfeld und ihrer sozialen Verwurzelung in Moabit geworfen würden. „An einem solchen ‚Geburtstagsgeschenk‘ hat man schon zu knabbern“, bemerkte Helena Scherer. Zwei der Bewohnerinnen haben mittlerweile das Rentenalter erreicht. Sie leben seit der Gründung vor 20 Jahren in der Wohngemeinschaft „Paulstraße“, die anderen beiden Bewohner sind seit mehreren Jahren hier zu Hause. Sie haben hier ihre Heimat, sie haben Freunde im Kiez gefunden und sie sind mit den täglichen Wegen und Geschäften vertraut. Nur dadurch ist ihnen trotz ihrer Einschränkungen ein in diesem Maße selbstständiges Leben in Moabit möglich.

Vor diesem Hintergrund wirkt der Slogan „So läßt sich‘s leben!“ des Vermieters hoch ironisch. Wobei es sich als Immobiliengesellschaft mit Mietverdoppelungen sicherlich leben lässt. Doch für die älteste Bewohnerin der Wohngemeinschaft „Paulstraße“ beispielsweise, die mit ihren 72 Jahren eng in der örtlichen Kirchengemeinde eingebunden ist und die mit ihrer benachbarten Freundin, selbstständig unterschiedliche Aktivitäten besucht, wäre ein Auszug das Ende ihrer Integration. Alle Bewohner haben ihr Netzwerk im Kiez mithilfe der Betreuerinnen in den zurückliegenden Jahren aufgebaut. Sich in einem anderen Bezirk das alles wieder neu zu erarbeiten ist für alle, gerade aber für die beiden Rentnerinnen nicht zu leisten. „Der Erhalt der Wohnung für sie ist existenziell“, so Helena Scherer. Für sie und alle Beteiligten steht fest: „Ohne diese Wohnung haben wir keine Perspektive mehr.“

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