Bilanz einer ungewöhnlichen Zusammenarbeit – ein Nachruf auf Christoph Schlingensief

Erstellt von Bettina Wohland |

Im Jahr 2002 entstand die Zusammenarbeit mit Bewohnerinnen und Bewohnern aus dem Tiele-Winckler-Haus - eine besondere Verbindung entwickelte sich zwischen Hort Gelonnek und dem Regisseur

Berlin. Sie konnten nicht ohne einander. Als sie sich trafen war es wie eine Verschmelzung zweier verwandter Seelen. Ein Duo, das voller Energie und Aktionismus strotzte: Christoph und Horst. Sie trafen aufeinander im Jahr 2002. Ergebnis einer unbedarften Zusage über Drehmöglichkeiten für das Filmprojekt „Freakstars 3000“ im Tiele-Winckler-Haus. Uns Außenstehenden war lange Zeit unklar, was sie aneinander suchten und was sie miteinander verband. Christoph, das „enfant terrible“ (er hasste dieses Wort), der Aktionskünstler, der provozierte, die Welt ad absurdum führte und mit extremen Projekten Deutschland auf den Kopf stellte. Und Horst, damals Anfang 60, Bewohner des Tiele-Winckler-Hauses in Berlin-Lichtenrade - mit über 20 Jahren Psychiatrie-Erfahrung - extrem provokant im Verhalten und nicht leicht zu bremsen. Es wurde der Beginn einer intensiven und dauerhaften Zusammenarbeit.

Mit der Produktion „Quiz 3000“ an der Volksbühne in Berlin begann die künstlerische Laufbahn von Horst. Es folgten unzählige Theaterproduktionen, Einladungen, Reisen und Begegnungen mit Schauspielern und Fans. Dank Christoph konnte sich Horst auf der Bühne so frei entfalten, wie nie in seinen ganzen Leben. Hier war er respektiert mit seinem Charakter, seinen Leidenschaften und seiner schier unendlichen Energie. Christoph übertrug seine Inspiration auf Horst und umgekehrt. Wenn beide auf der Bühne waren, knisterte es nur so vor Spannung. Beiden war es wichtig, einander zu haben. Obgleich vollkommen erschöpft, wenn ein  Projekt zu Ende war stand schon die Frage im Raum: „Wann kann ich wieder zu Christoph?“

Die Nachricht von der Krebserkrankung erschütterte uns. Sein öffentlicher Umgang damit, seine Inszenierung  des eigenen Sterbens berührte uns. Horst war all’ dieses nicht bewusst, er zehrte von den gemeinsamen Projekten und konnte Christoph ungehemmt begegnen. Eine Gabe, die wir nicht hatten. Mit unserer eigene Unsicherheit und Furcht vor dem Ungewissen, sahen in seinen Augen stets die Angst.

Wir sind dankbar für die Zeit, die Horst und Christoph einander hatten, für das, was Christoph uns allen, die ihn kannten, gegeben hat. Sein „über die Grenzen“ gehen wird uns fehlen.

Michael, Bernhard, Hagen, Danny, Gisela, Horst – Rainer, Helena und Bettina

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