Wie ein Baum, weit verzweigt - Gedenken an 120 Jahre Friedenshort

Erstellt von Henning Siebel |

Am 28. September 1890 wurde das erste Haus "Friedenshort" in Miechowitz/Oberschlesien seiner Bestimmung übergeben - Ursprung für das von Eva von Tiele-Winckler gegründete Werk.

Freudenberg/Miechowitz. Zwei Betten für Kinder und drei für erwachsene hilfebedürftige Menschen – das war vor 120 Jahren der Beginn der diakonischen Arbeit Eva von Tiele-Wincklers im ersten Haus Friedenshort, das am 29. September 1890 in Miechowitz/Oberschlesien seiner Bestimmung übergeben wurde. Eva von Tiele-Wincklers Hartnäckigkeit und ihr sehnlichster Herzenswunsch tätige Nächstenliebe auszuüben, ließen den Vater schließlich einwilligen – mit der Einschränkung, dass „die Arbeit nur im kleinsten Maßstabe geschehe“ (zit. aus „Wie der Friedenshort entstand“). Auch solle die damals 24-jährige Eva zwar tagsüber ihren Dienst versehen, aber abends ins elterliche Schloss zurückkehren. Beide Vorgaben ließen sich aber auf Dauer nicht aufrecht erhalten, aus den Anfängen entstanden Schwesternschaft und ein weit verzweigtes diakonisches Werk. (Mehr zu den Anfängen siehe Abschnitt „Hintergrund“).

120 Jahre Friedenshort waren auch Anlass zum Innehalten und Gedenken für die Schwestern und Mitarbeitenden in Freudenberg – mit einer gemeinsamen Morgenandacht, Frühstück und Kaffeetrinken. Wachstum und Ausdehnung des Friedenshortes in 120 Jahren verglich Oberin Sr. Christine Killies in der nachmittäglichen Feierstunde mit einem Baum: „Aus Samen ließ Gott einen großen Baum wachsen, zwischenzeitlich herausgerissen und neu gepflanzt, manchmal mit kahl geworden Ästen aber immer wieder neu ausschlagend.“ Für allen Einsatz und alles Mittragen ging Sr. Christines herzlicher Dank an die Schwesternschaft und Mitarbeitenden. Seinen besonderen Dank an die Schwesternschaft hob auch Pfr. Leonhard Gronbach hervor: „Sie haben den Samen für den Baum Friedenshort gelegt. Wir leben heute daraus und wissen warum wir tun, was wir tun.“

Was entfaltet sich heute unter den Zweigen des Friedenshortes?

Was entfaltet sich heute unter den Zweigen des Friedenshortes? Dies visuell erlebbar zu machen war Anliegen von Sr. Renate Stein. Mit Unterstützung des Öffentlichkeitsreferates hatte sie hierzu Fotos aus allen Regionen des Friedenshortes in einzelnen Mappen zusammengestellt. Jeder Tisch hatte nun die Aufgabe, dies zu einer Collage auf einem riesigen Baum-Blatt zusammenzustellen. Die einzelnen Blätter wurden dann an einen großen „Friedenshort-Baum“ geklebt. Ein buntes Bild der heutigen Friedenshort-Arbeitsfelder entstand. Und damit auch alle übrigen Regionen aus Nord, Süd, Ost und West auf eine gewisse Weise teilhaben konnten, verschickte jeder Tisch ein Päckchen mit persönlichen Grüßen und Blumenzwiebeln, die – vor Ort eingepflanzt – an das (zusammen)wachsende Werk erinnern sollten.

Hintergrund: Von den Anfängen

Nachfolgendes zitiert aus Dr. Gerhard Schiller: „Mutter Eva – für alle Menschen und für alle Nöte offen“ [vollständiger Aufsatz zum Download siehe unten].

[…] Nach persönlichem Bibelstudium erleb­te Eva im Alter von 16 Jahren schließlich ihre innere Of­fenbarung. Sie beschloss, ab sofort eine Jüngerin Jesu zu sein und ihr Leben der Nächstenliebe zu widmen. Im elterlichen Haus in Miechowitz teilte sie jeden Tag zur Mittagszeit den Ärmsten und Bettlern des Dor­fes Suppe aus. Norbert, ein blasser, durch seinen al­koholabhängigen Vater misshandelter Junge fand ihre besondere Zuneigung. Heim­lich zerschnitt sie ihre Kleider, um etwas für ihn zu nähen. Ihr Vater überraschte sie jedoch dabei und verbot ihr ab sofort jede weitere Tätigkeit in dieser Richtung. Eva blieb ihrem Entschluss jedoch treu. Sie lernte heimlich polnisch, um auch die pol­nisch sprechenden Hilfebedürftigen unterstützen zu können. Zudem übte sie sich in Askese, um den Anforderungen im Dienst der Nächstenliebe besser gewachsen zu sein.

Begegnung mit Bodelschwingh

Auf einer Reise lernte sie im Jahre 1885 Bethel und Pastor von Bodelschwingh kennen. Seine Persönlichkeit und Arbeit beeindruckten sie tief und festigten ihren Wunsch, ihr Leben der tätigen Nächstenliebe zu widmen. Auch ihr Vater sah nun ein, dass allein der bereits eingeschlagene Lebensweg seine Tochter glücklich machen würde. Er stand den Plänen Evas nicht länger entgegen, sondern stellte ihr sogar in Aussicht, in Bethel die Krankenpflege zu erlernen, um dann später in Miechowitz – nicht nur für seine Arbeiter – karitativ tätig zu werden. Durch das Einverständnis ihres Vaters reiften Evas Pläne, im heimischen Oberschlesien ihr Leben den Kranken und Schwachen zu widmen.

Im Jahre 1886 weilte Eva oft auf dem Schloss Moschen, das ihre Eltern in ihrem Geburtsjahr erworben hatten. Hier verbrachte sie viele Stunden in Kontemplation und stiller Andacht auf der so genannten Osterinsel im Schlosssee (heute: Wyspa Miłości = Liebesinsel). Unter alten Eichen befand sich dort eine kleine Kapelle. Schon in den frühen Morgenstunden konnte man Eva hier in den Evangelien lesend vorfinden. Auch zum Sonnenuntergang kehrte Sie oft an Ihren Lieblingsplatz zurück, um hier den Tag mit Gott zu beschließen.

Baupläne für Haus Friedenshort auf dem weihnachtlichen Gabentisch

Der praktisch denkende Vater forderte seine Tochter zu einer schriftlichen Fixie­rung ihrer Pläne auf. Eva kam dieser Aufforderung freudig nach. Zunächst wollte sie intensiv die Kranken- und Gemeindepflege erlernen und dann eine kleine Wirkungs­stätte in Miechowitz gründen. Ende März 1887 begann Eva in Bethel ihre Ausbildung als Krankenschwester.

Anfang Februar 1888 forderte sie ihr Vater auf, mit ihrer Liebesarbeit in Miecho­witz zu beginnen. Zu Anfang ihres Schaffens hatte Eva im elterlichen Haus eine Krankenstube zum Verbinden und einen Raum für ihre Nähkinder eingerichtet. Sie begab sich aber auch selbst in die Häuser des Dorfes, um hier Hilfe zu leisten. Viele der Familien waren so arm, dass ihre Kinder ohne Frühstück zur Schule gehen mussten. Die Ausgaben für ihre Suppenküche musste Eva von den 20 Mark Ta­schengeld bestreiten, die sie von ihrem Vater erhielt.

Auf dem weih­nachtlichen Gaben­tisch im Jahre 1888 wartete auf Eva je­doch eine große Überraschung. Es waren die vom Vater in Auftrag gegebe­nen Baupläne für eine eigene Wir­kungsstätte, die un­weit des Eltern­hauses entstehen sollte. Auch die Fi­nanzierung der Bau-arbeiten wollte er übernehmen. Evas Freude wurde einzig dadurch getrübt, dass ihr Vater erwartete, dass sie nach Verrichtung ihres Tagewerks jeden Abend in den Familienkreis heim­kehrte: Du sollst als Vorstandsdame nur am Tage dich in deinem Haus aufhalten und alles anordnen und leiten, und des Abends kommst du wieder zu uns.

Erst bei Auszug aus dem elterlichen Schloss war Evas Glück vollkommen

Eva wollte sich jedoch ihrer Aufgabe ohne Einschränkung widmen und ihren An­vertrauten Tag und Nacht zur Verfügung stehen. Ihr Vater erriet ihren Wunsch und willigte schließlich auch in den Auszug seiner Tochter aus der familiären Gemein­schaft ein. Evas Glück war nun vollkommen. Sie notierte: Nun war erst richtig mein Hochzeitstag. Am 29. September 1890 war das neue Haus fertiggestellt und wurde seiner Be­stimmung übergeben. Es erhielt den Namen Friedenshort. Der Superintendent weih­te die im Haus befindliche Kapelle als gottesdienstliche Stätte für die kleine evan­gelische Gemeinde. Das Haus diente als Heimstätte für Arme und Alte, Behinderte und Nichtsesshafte […)

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<link fileadmin pdf eva_von_tiele-winckler.pdf download file>Initiates file downloadAufsatz von Dr. Gerhard Schiller

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