Pädagogik in der digitalen Welt und das Zusammenspiel von Jugendhilfe und Psychiatrie

Erstellt von Henning Siebel |

Leitende Friedenshort-Mitarbeitende tagten in Öhringen

Öhringen. Mit zwei sehr unterschiedlichen, jedoch gleichsam aktuellen Themen beschäftigten sich jetzt rund 40 Leitende Mitarbeitende der Stiftung Diakonissenhaus Friedenshort und ihrer Tochtergesellschaften Evangelische Jugendhilfe Friedenshort GmbH und Tiele-Winckler-Haus GmbH. Gastgeber der jährlichen Leitungstagung war diesmal die Region Süd in Öhringen.

„Wer hat Angst vor Web 2.0?“ fragte Erziehungswissenschaftler Dr. Ulrich Wehrmann aus Ludwigshafen, der über „Pädagogik zwischen Analoger Tradition und Digitaler Moderne“ referierte. Die Zusammenhänge zwischen Internetnutzung und notwendiger Bildung und Kompetenz skizzierte er zu Beginn. Ausgehend von Joseph Weizenbaums These „90 Prozent im Netz ist Schrott“ betonte Wehrmann, dass man nur mit ausreichender Bildung sowie sprachlicher und Lesekompetenz die Fähigkeit besitze, die „Informatios-Perlen“ herauszufischen: „Ohne Bildung wirken Internet-Informationen wie ein strukturloser Konfettiregen und verkommen zu einem absurden Rausch des Dabei seins.“ Seine provozierende These lautete daher „Schulen vom Netz!“. Denn zunächst solle die Schule Grundlagen in sozialen und kommunikativen Kompetenzen legen – dies seien wichtigere Voraussetzungen für ein persönliches Wissensmanagement als die digitale Welt.

Orientierungshilfen zum Thema Medienerziehung nötig

Wehrmanns zweites großes Thema (er ist zugleich Suchtbeauftragter des Rhein-Neckar-Kreises) war das Suchtpotenzial von Computer-Spielen, insbesondere den Online-Rollenspielen. Das Problem dieser Spiele sei ihr fehlendes Ende sowie der Umstand, dass die Aufgaben meist nur als Gruppe von Rollen-Spielern gelöst werden könnten: „Es gibt einen großen Druck der Online-Mitspieler, sie nicht im Stich zu lassen“, erläuterte der Erziehungswissenschaftler die oft großen Verweildauern am PC. Das für diese Spiele typische Belohnungssystem, den nächst höheren Level zu erreichen, fördere dies zusätzlich: „Wenn der PC im Kinderzimmer steht ist die Spieldauer fast doppelt so hoch als zum Beispiel bei einem Standort im Familienwohnzimmer.“ Wehrmann forderte daher, PCs aus Zimmern unter 16-Jähriger generell zu verbannen. Wichtig sei der Aufbau einer Kommunikationskultur in den Familien, Eltern müssten zudem frühzeitig Orientierungshilfen zum Thema Medienerziehung erhalten. Gleichermaßen gelte es für Einrichtungen der Jugendhilfe ein medienpädagogisches Profil zu entwickeln.

Wie dies in der Praxis mit Blick auf das Internet aussehen kann, soll zunächst auf dem Cappelrain in Öhringen erprobt werden. Frank Gamboa, Systemadministrator in der Gesamtverwaltung, erläuterte hierzu ein Konzept zur Internet-Nutzung. Und da dies thematisch passte, kamen die Tagungsteilnehmenden im Anschluss daran gewissermaßen in den Genuss eines „Preview“: Öffentlichkeitsreferent Henning Siebel stellte den zum Zeitpunkt der Tagung in den Startlöchern stehenden neuen Internetauftritt <link http: www.friedenshort.de>www.friedenshort.de vor

WG Obermühle: Positive Zwischenbilanz

Dr. med. Joachim Jungmann, langjähriger Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Klinikums „Am Weissenhof“ in Weinsberg, referierte über die Zusammenarbeit von Psychiatrie und Jugendhilfe im Allgemeinen sowie über eine Zwischenbilanz von 18 Jahren „Wohngruppe Obermühle“. Diese Einrichtung der Evangelischen Jugendhilfe Friedenshort für junge Menschen mit einer psychischen Erkrankung in Waldenburg pflegt mit der Weinsberger Klinik einen engen, fachlichen Austausch. Dr. Jungmann verwies zunächst auf die Jugendhilfestatistik, nach der in den letzten 15 Jahren der Anteil von in Jugendhilfe-Einrichtungen betreuten jungen Menschen mit einer psychischen Erkrankung von 15 auf 30 Prozent gestiegen sei. Besonders häufig gehe es dabei um sehr starke Störungen des Sozialverhaltens und um persönliche Ängste. „Wir haben hier einen sehr komplexen Hilfebedarf und stehen vor einer wirklich ganzheitlich zu lösenden Aufgabe“, erläuterte Dr. Jungmann.

Ein wesentlicher Faktor in der Hilfeplanung sei die Belastbarkeit der Familien. Oft stießen Eltern an ihre Grenzen, ihren Kindern ausreichende Zuwendung zu geben. Das Risiko psychischer Erkrankungen könne aber gemildert werden: „Jugendhilfe und Psychiatrie müssen die Ressourcen in den Familien stärken und Anstrengungen unternehmen, die bestehenden Belastungssituationen zu bewältigen.“ Ausführlich ging Dr. Wehrmann auch auf Diagnostik und Therapiemöglichkeiten der Kinder- und Jugendpsychiatrie ein, um dann aus seiner Sicht ein positives Zwischenfazit für die Wohngruppe Obermühle zu ziehen. Eine repräsentative Befragung von Betreuten, die nun außerhalb der Einrichtung leben, ergebe überwiegend eine positive Selbstwahrnehmung und ein gutes bis sehr gutes positives Erleben mit  Blick auf den Kontakt zur eigenen Familie und die Altersgenossen. Eine Krankheitswahrnehmung bleibe jedoch bestehen.

Zum Auftakt der Tagung hatte Pfr. Leonhard Gronbach, Leitender Theologe der Stiftung Diakonissenhaus Friedenshort, die Teilnehmenden begrüßt und in seinem Eingangsimpuls den Zusammenhang von Werten und Führen aufgezeigt. Als Beispiel einer souveränen Führungspersönlichkeit diente Pfr. Gronbach hierbei der alttestamentarische Joseph, der es vorbildhaft, aus einer demütigen Haltung heraus verstanden habe, mit Menschen umzugehen. Führung erlange Glaubwürdigkeit, wenn sie nach christlichem Menschenbild erfolge: „Dazu gehört Mitarbeitenden den Rücken zu stärken und Vertrauen zu zeigen – nicht Druck und Angst zu erzeugen.“

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