Besprechung
Dreharbeiten bei der Vorbereitung eines Hilfeplangesprächs
auf der Fähre
Sogar die Ferienfahrt auf die Insel Juist wurde filmisch begleitet
Dreh beim Action Painting
Der Filmemacher Stefan Sick stand selbst hinter der Kamera
Dreh beim Action Painting
Dreh beim Action Painting
Dreh beim Action Painting
Dreh beim Action Painting
Dreh beim Action Painting
Dreh beim Action Painting
Dreh beim Action Painting
Dreh beim Action Painting
Dreh beim Action Painting
Dreh beim Action Painting
Dreh beim Action Painting
Dreh beim Action Painting
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Dreh beim Action Painting

"Die Kraft in mir"

Erstellt von Jürgen Grajer |

Dreharbeiten eines besonderen Dokumentarfilms in der Region Süd beendet.

Öhringen. Was bislang nicht bzw. nur selten an die Öffentlichkeit gelangt, ist das „unkommentierte“ Leben von jungen Menschen in der stationären Jugendhilfe. Keine gestellten Aufnahmen, keine gezielten Inszenierungen, keine langen fachlichen Erklärungen, lediglich das „Sosein“ junger Menschen, die für eine Phase ihres Lebens außerhalb ihrer Familien leben. Sich die Zeit nehmen und sich darauf einlassen, kann zu einem besseren Verständnis über Heimerziehung, vielleicht zu einer veränderten, mehr akzeptierenden Haltung gegenüber den betroffenen jungen Menschen führen.

Anfang 2020 war der Filmemacher Stefan Sick mit einem Exposé zu einem Kinodokumentarfilm mit dem Titel „Die Kraft in mir“ auf der Suche nach einer „geeigneten“ Jugendhilfeeinrichtung. Mit seinem Filmvorhaben wollte er junge Menschen in den Blick nehmen, die aufgrund prekärer Familiensituationen Hilfe und Betreuung in einer stationären Wohngruppe der Kinder- und Jugendhilfe benötigen. In seinem Exposé führte der Filmemacher Stefan Sick aus: „Der Film ist bewusst als beobachtender Dokumentarfilm ohne Kommentar oder Interviews geplant. Nicht der auktoriale Erzählwille, sondern das Miterleben und Mitfühlen steht im Vordergrund. Die Umsetzung erhebt einen hohen audiovisuellen Anspruch und es soll eine ungewöhnliche dokumentarische Erzählweise ausprobiert werden. Der Stoff ist klar für die Kinoleinwand konzipiert und setzt neben den dokumentarischen Beobachtungen auf eine künstlerische Interpretation des Erlebten. ...Ich möchte mit meinem Film die Perspektive der Jugendlichen einnehmen. Ihre Sicht auf die Welt nachempfinden, ihre Ängste, ihre Wünsche, ihre Wut und ihr Bedürfnis nach Liebe, Anerkennung und vor allem ihre Willenskraft miterleben und mitfühlen.“

Für die Realisierung des Dokumentarfilms erhielten die produzierende AMA Film GmbH und der Regisseur Förderzusagen von der Medien- und Filmgesellschaft BW uns seitens des SWR. Für den Kostenbeitrag unseres Trägers wurde eine Förderung aus dem Diakonie Spendenfonds des Diakonischen Werks Württemberg bewilligt.

Nach Recherchen und Hospitationen fanden sich die Mädchenwohngruppe Kombi in der Region Süd und der Regisseur Stefan Sick. Die Wohngruppe befand sich zum damaligen Zeitpunkt in einer Umstrukturierungsphase. Aus einer gemischtgeschlechtlichen Gruppe wurde eine reine Mädchenwohngruppe, die Gruppenleitung wechselte und es zogen neue Mädchen in die Gruppe. Veränderungen sind für den Alltag in einer solchen Gruppe sicher nicht einfach und verursachen Unruhe und Verunsicherung. Für einen Film bedeutet die Veränderungsdynamik aber vielmehr spannende Momente und lebhafte Prozesse. Die Entscheidung war insofern auch für den Regisseur getroffen. Nun war es an ihm, das Vertrauen der Mädchen, der Mitarbeitenden, der Sorgeberechtigten und aller weiteren Beteiligten zu gewinnen.

Zwei Jahre lang mit der Kamera zu Gast

Zwei Jahre lang besuchte das Filmteam nun die Wohngruppe. Es sollte bewusst weder ein Zeitdruck noch ein Erfolgszwang aufgebaut werden. Die Wohngruppe, Mädchen wie Mitarbeiterinnen, sollten sich an die Anwesenheit des Filmteams und der Filmtechnik gewöhnen. Die Dreharbeiten sollten zu einem Bestandteil des Betreuungsalltags werden. Normalität, Gewöhnung, Unbefangenheit und Vertrautheit sollte erzeugt werden. Während des Verlaufs der Dreharbeiten kristallisierten sich vier Hauptpersonen aus der Wohngruppe heraus:

  • Lisann, beim Start der Dreharbeiten 13 Jahre alt, war das älteste Mädchen in der Wohngruppe, die auch gerne „das Sagen“ unter den Mädchen hatte. Neugierig und interessiert am Elektrobasteleien, testete sie auch gerne ihre Grenzen aus, um herauszufinden, welche Konsequenzen ihr Handeln hat.
  • Die damals 12jährige Lena wollte gerne die Hauptrolle im Film spielen. Sie war sehr offen, hilfsbereit und suchte die ständige Aufmerksamkeit.
  • Mit ihren 8 Jahren war Eleyna ein ausgesprochen lebhaftes, energiegeladenes Kind. Sie reagierte mit schnell wechselnden Gefühlslagen, manchmal freudig wild, dann zornig und laut. Schon nach kurzer Zeit kannte sie sich bestens mit der Filmtechnik und ihrer Bedienung aus.
  • Die 10jährige Leni kam neu in die Gruppe. Schlau und lesefreudig zeigte sie vor der Kamera richtiggehend schauspielerisches Talent.

Obwohl die Mädchen in der Wohngruppe eine „vorübergehende“ Heimat gefunden haben, ist ihr familiäres Umfeld dennoch präsent. Ein konstanter Kontakt soll die Perspektive einer Rückkehr ins Elternhaus unterstützen. Ebenso sollen freundschaftliche Beziehungen erhalten, gefördert oder neu aufgebaut werden.

Ein weiterer unverzichtbarer Bestandteil des Dokumentarfilms waren alle einrichtungsinternen pädagogischen Mitarbeitenden, die sich um das Wohlergehen der Mädchen sorgen. Hier sind es in erster Linie die Betreuerinnen zu nennen, die den Alltag mit den Mädchen meistern, ihnen in allen Gefühlslagen zur Seite stehen und sie fördern. Bei sämtlichen Vorkommnissen in der Wohngruppe behielten die Betreuerinnen stets die Relevanz für den Film im Bewusstsein.

Eine Person, die das Projekt von Beginn an unterstützte und die notwendigen Kontakte organisierte, ist Margret Kuttner, die Mitarbeiterin aus dem Fachdienst. Sie hat mit ihrer Netzwerkarbeit hin zu Schulen, zur Kinder- und Jugendpsychiatrie und zu den Jugendämtern einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass die Dreharbeiten erfolgreich waren. Dank der Offenheit und Unterstützung aller Beteiligten konnte ein sehr vertrauensvolles Umfeld für die Dreharbeiten geschaffen werden. Die Aufnahmen zeigen die Individualität der Mädchen und gleichsam auch den Zusammenhalt innerhalb der Wohngemeinschaft.

Das Filmteam versuchte das Binnenleben in der Wohngruppe in seiner Vielseitigkeit und in seinen Abläufen wiederzugeben. Es war zugegen beim morgendlichen Aufstehen, Zähneputzen, Frühstücken, bei der Vorbereitung des Schultages und der Rückkehr aus der Schule, beim Mittagessen, der Zimmerzeit für die persönliche Ruhephase, bei der Begleitung der Hausaufgaben, beim individuellen und gemeinschaftlichen Spielen, bei den abendlichen Ritualen und beim Zubettgehen. Ohne aufdringlich oder störend zu sein, fing es Situationen des gruppendynamischen Zusammenspiels und dessen pädagogische Lenkung, z.B. mittels Stufensystemen und Verstärkerplänen, ein. Dazu zählten u.a. die Einhaltung von Medienzeiten für Handy/Fernsehen/Tablet, entstehende Streitigkeiten und die Suche nach Lösungen, die Ausgrenzung einzelner Mädchen und das Bemühen des Wiedereinbindens und die, in regelmäßigen Abständen stattfindenden Kinderkonferenzen. Berücksichtigung finden aber auch die ganz besonderen Ereignisse, hier die Elternbesuche an erster Stelle, gemeinsame Grillfeste mit allen Eltern, dann die persönlichen Geburtstage und die Zeiten der religiösen Feste. Lagen die Ereignisse im Außenfeld, machte sich das Filmteam mit auf den Weg. Gesellige Gruppenfreizeitunternehmungen zu Spielplätzen, Badeorte, Rodelbahnen und Freizeitparks konnten gefilmt werden. Selbst zu einem Ferienaufenthalt auf die Insel Juist begab sich das Filmteam mit auf die Reise. Um solche Mitschnitte zu ermöglichen wurden dabei alle anfallenden Kosten und Auslagen von der Einrichtung getragen. Individuell waren es, in Abstimmung mit dem jeweiligen Jugendamt einzelne Hilfeplangespräche, Heimfahrten zu Eltern bzw. Besuche in Pflegefamilien, Termine in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Gespräche mit dem Chefarzt Dr. van Aaken, die das Filmteam begleiten konnte.

Workshop half, die eigenen Gefühle künstlerisch auszudrücken

Zum Abschluss der Dreharbeiten wurde gemeinsam mit den Mädchen ein „Action Painting Workshop“ als besonderer Event gewählt. Hier wurde den Mädchen der Raum gegeben, die eigenen Gefühle auf künstlerische Weise, durch den Umgang mit Farbe, kreativ, spontan und uneingeschränkt auszudrücken. Für den Regisseur Stefan Sick bestand die Überlegung, die Aufnahmen aus dem Workshop als eine Art Projektionsfläche zu nutzen und als besondere ästhetische Momente, auch während des Films immer wieder einzustreuen. Der Fotograf Benjamin Breitkopf von AMA Film fing den Workshop in zahlreichen Bildern ein und unterstrich damit die Eindrücklichkeit des Workshops. Eine weitere Überlegung des Regisseurs war es, ob sich die Aufnahmen aus dem Workshop dazu eignen würden, als dramaturgische Rahmung der Filmerzählung zu dienen. Am Ende des Dokumentarfilms sollten, nach Vorstellungen des Regisseurs, die Mädchen in die Kamera blicken und in Porträtaufnahmen zu sehen sein und lassen den Film mit ihren Wünschen und Zielen ausklingen.

Noch während der letzten Dreharbeiten hatte die Editorin des Films, Ina Tangermann, mit der Sichtung und der Katalogisierung des Filmmaterials begonnen. Dabei wurde eine Übersicht über das gesamte Material angefertigt, welche die Grundlage für den Schnittprozess darstellt. Aktuell erstellt die Editorin erste Rohschnitte ausgewählter Szenen, die dann wiederum als Bausteine für die Montage des gesamten Films dienen werden. Schließlich wird aus den über 200 Stunden Rohmaterial der 90 – 120minütige Dokumentarfilm „Die Kraft in mir“ entstehen. Dieser zeitintensive und inhaltlich mit größter Sorgfalt durchgeführte Bearbeitungsprozess wird bis ins Frühjahr 2024 andauern. Um das Vertrauen aller Beteiligten zu wahren und mögliche Bedenken ernst zu nehmen, wird es vor Veröffentlichung des Films die Gelegenheit zur Sichtung des Rohschnitts für alle Dargestellten geben. Bei dieser Gelegenheit geäußerte Anregungen oder Bedenken wird der Regisseur mit seinem Filmteam – unter Vorbehalt der künstlerischen Freiheit und der notwendigen Integrität des Dokumentarfilms – bei der Erstellung der finalen Fassung des Films berücksichtigen.

Premiere auf renommiertem Filmfestival angestrebt

Im Anschluss an den Schnittprozess und den Einbezug der Beteiligten folgt dann noch die Postproduktion. Dazu gehört vor allem die digitale Nachbearbeitung und Farbgestaltung der Bilder, die Tonverarbeitung und das Unterlegen der Bilder mit Musik. In einem letzten Schritt erfolgt das Mastering des kompletten Films für die notwendigen Formate und Medien. Erst dann erfolgt die angestrebte Auswertungskette: Premiere auf einem renommierten Filmfestival (z.B. Berlinale, DOK Leipzig), dann die Kinoauswertung (Arthouse) und im Anschluss daran die Ausstrahlung im SWR Fernsehen.

Dem Dokumentarfilm, und damit den Mädchen als Protagonistinnen und Akteurinnen des Films, stellvertretend für die rund 120.000 weiteren Kinder und Jugendlichen in der stationären Jugendilfe, sind zahlreiche Kinogäste zu wünschen. Den beteiligen Mädchen und den Teamkolleginnen der Kombi-Wohngruppe gilt insofern unser ganz besonderer Dank.

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