Sally Arnouk in ihrem Büro der Ambulanten Hilfen in Siegen-Geisweid
Sally Arnouk in ihrem Büro der Ambulanten Hilfen in Siegen-Geisweid
Das sozialpädagogisch betreute Wohnen bereitet auf ein eigenständiges Leben in Deutschland vor
Das sozialpädagogisch betreute Wohnen bereitet auf ein eigenständiges Leben in Deutschland vor
In Syrien hat Sally Arnouk unter anderem mit Kindern gearbeitet ...
In Syrien hat Sally Arnouk unter anderem mit Kindern gearbeitet ...
... die aufgrund traumatischer Erlebnisse von Krieg und Gewalt belastet waren.
... die aufgrund traumatischer Erlebnisse von Krieg und Gewalt belastet waren.
Die Arbeit in der christlich-orthodoxen Hilfsorganisation galt aber auch älteren Menschen
Die Arbeit in der christlich-orthodoxen Hilfsorganisation galt aber auch älteren Menschen

Aus gefährlicher Lage geflüchtet – im Friedenshort berufliche Heimat gefunden

Erstellt von Henning Siebel |

Friedenshort-Mitarbeiterin Sally Arnouk half bereits in Syrien Kindern, Jugendlichen und ihren Familien und bereitet nun junge Menschen mit Fluchthintergrund auf ein eigenständiges Leben in Deutschland vor.

Siegen. Sally Arnouk ist pädagogische Mitarbeiterin in der Einrichtung Freudenberg/Siegen der Evangelischen Jugendhilfe Friedenshort. Zunächst war sie in der WG Hengsbach tätig, aktuell arbeitet sie im Bereich der Ambulanten Hilfen. Im Herbst 2015 musste sie ihr Heimatland Syrien verlassen, nur rund 1 ½ Jahre später begann sie bereits ihre Tätigkeit für den Friedenshort.

„Wir haben 2015 innerhalb nur einer Woche entschieden, dass es für uns zu gefährlich wird“, erzählt sie. Die Kämpfer des so genannten IS waren nur noch drei Kilometer vom Zuhause in der syrischen Stadt Homs entfernt. Keine leichte Entscheidung für die heute 27-Jährige und ihren Partner Nikola, das Paar ist damals gerade frisch verheiratet: „Ich habe vorher niemals daran gedacht, dass ich einmal zu den Flüchtlingen gehören würde, aber die Situation ist zu heftig geworden.“ Sally Arnouk und ihr Ehemann stammen beide aus christlichen Familien. Nach einem erfolgreich abgeschlossenen Psychologie-Studium arbeitet sie für die christliche Hilfsorganisation GOPA-DERD der griechisch-orthodoxen Kirche in Syrien. Die junge Frau betreut Kinder und Familien, die psychisch belastet sind, teils auch nach Kriegs- und Gewalterfahrungen: „Es hat große Freude gemacht, diesen Menschen zu helfen, aber ich habe bei unseren Fahrten in die umliegenden Dörfer auch die wachsende Gefahr gespürt.“

Nichts zu tun, konnte ich mir nicht vorstellen

Die Flucht dauert rund zwei Wochen. Deutschland ist das Ziel, da ihr Mann Nikola bereits einen positiven Visumsbescheid hat, um in Deutschland studieren zu können. Nach der Ankunft in der Erstaufnahme-Einrichtung Gießen Ende November 2015, geht es rasch weiter nach Siegen. „Für mich war sofort klar, möglichst rasch Deutsch zu lernen, um zu arbeiten - jetzt nichts zu tun, konnte ich mir nicht vorstellen. Wir hatten vier Jahre Krieg hinter uns, vielleicht war das auch eine Art Kriegsstress, nicht erst in Ruhe abzuwarten, was nun passiert“, meint sie rückblickend. In nur acht Monaten absolviert sie an der Universität Siegen erfolgreich diverse Sprachkurse bis hin zum C1-Kurs, dem Sprachniveau für hochqualifizierte Berufe. Neben einer ersten beruflichen Tätigkeit als Dolmetscherin informiert sie sich über soziale Einrichtungen für Kinder und Jugendliche in der Region, darunter ist auch die Evangelische Jugendhilfe Friedenshort „Über die Zusage vom Friedenshort habe ich mich sehr gefreut“, erzählt die junge Frau. Arbeitsort wird im März 2017 die WG Hengsbach in Siegen-Eiserfeld, zu diesem Zeitpunkt eine Wohngruppe ausschließlich für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.

Zunächst für Mitbewohnerin gehalten

„Die Anfangszeit war nicht ganz leicht“, erinnert sie sich. „Weil ich aus Syrien stamme und arabisch sprechen konnte, dachten die Jugendlichen erstmal, ich sei eine Mitbewohnerin und keine Betreuerin [schmunzelt]. Aber es gelingt ihr nach einer gewissen Zeit, sich den nötigen Respekt zu verschaffen. Hilfreich ist dabei auch die gemeinsame Fluchterfahrung. Sie kann zudem gut nachempfinden was es bedeutet, wenn es tagelang keinen Kontakt zu den Eltern im Herkunftsland gibt, verbunden mit der bangen Frage, ob ihnen etwas zugestoßen ist. Neu war für die Mitarbeiterin das spezifische Arbeitsfeld einer Wohngruppe mit ihrer familienähnlichen Struktur. Etwas Vergleichbares gibt es in Syrien nicht. Weil das Team in der WG ihr jederzeit hilfreich zur Seite steht, gelingt ihr jedoch das Einarbeiten sehr gut. Mit dem Respekt wächst auch das Vertrauen seitens der betreuten, ausschließlich männlichen Jugendlichen: „Ich fand es zum Beispiel interessant, dass ich mit ihnen auch über das Rollenbild von Mann und Frau diskutieren konnte, dass sie aus ihrem Kulturkreis mitbrachten. Es gab da schon teils die Haltung, dass Frauen nicht arbeiten sollten. Ich habe deutlich gemacht, dass ich darüber anders denke – und zwar nicht nur bezogen auf das Leben hier, sondern auch in Syrien.“ Als wichtig erachtet sie, dass bei Anwesenheit von deutschen Kolleginnen und Kollegen ausschließlich Deutsch gesprochen werden durfte – eine Frage des Miteinanders und des Respekts.

„Die jungen Menschen wissen, wir sind da.“

2018 wird die Wohngruppe in eine Inobhutnahme umgewandelt. Sie wechselt in das Arbeitsfeld der Ambulanten Hilfen. Hier begleitet sie junge Flüchtlinge, die schon in einer eigenen Wohnung leben, auf dem weiteren Weg in die Selbstständigkeit. Ziel sei eigentlich, die jungen Leute so eigenständig werden zu lassen, dass sie von selbst sagen, „ich brauche euch nicht mehr.“ Für sie und ihre Kolleginnen und Kollegen ist es aber selbstverständlich, auch nach Ende der Jugendhilfe-Maßnahme noch ein offenes Ohr zu haben, der Kontakt wird nicht einfach völlig gekappt: „Die jungen Menschen wissen, wir sind da.“

Wie bewertet sie nach rund zweijähriger Tätigkeit für den Friedenshort ihre Berufswahl? „Ich bin jetzt an dem Platz an dem ich sein möchte“, betont Sally Arnouk. Aber das ist für sie nicht gleichzusetzen mit Stillstand. Sie hat aktuell ihre Arbeitszeit auf eine halbe Stelle reduziert, um parallel auch in Deutschland noch einen Uni-Abschluss zu erhalten. An der Universität Gießen studiert sie Erziehungswissenschaften mit Psychologie als Nebenfach. Ein bisschen Freizeit bleibt auch noch neben Arbeit und Universität. Sie treibt Sport, ist in einer Nähgruppe und in Siegen-Weidenau gehört sie zum Jungschar-Team der Freien Evangelischen Gemeinde. Außerdem backt und kocht Sally Arnouk gerne: „Syrisches Essen gibt es aber nur ungefähr einmal im Monat, das ist immer sehr zeitaufwändig [lacht], meistens koche ich Deutsch.“

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