Auftakt zur „Künstliche-Pflanzen-Ausstellung“ mit musikalisch-philosophischer Performance

Erstellt von Henning Siebel (Text + Fotos) |

Ein außergewöhnliches Kunstprojekt mit außergewöhnlicher Vernissage. Hierzu kooperieren Tiele-Winckler-Haus GmbH, Ausstellungszentrum Pyramide und VHS Marzahn-Hellersdorf.

Berlin-Hellersdorf. Eine Vernissage als Richtfest, ein Ausstellungszentrum als Gewächshaus und über 50 Mitwirkende vom Kind bis zum Senior, die mit Musik, Gesang, Gedichtvortrag, Ausdruckstanz und szenischen Darstellungen beeindruckten – dies waren die besonderen Elemente zu einer besonderen Ausstellungseröffnung am 8. Juli 2017: „Künstliche Pflanzen im Gewächshaus Pyramide“. Keine Besonderheit, weil im wirklichen Sinne Normalität, war dabei die Tatsache, dass hier zahlreiche Menschen mit Behinderungen aus den Einrichtungen der Tiele-Winckler-Haus GmbH sowie aus der Behindertenhilfe des Friedenshortes in Heiligengrabe mitwirkten. Ideengeber und „Macher“ des Projekts „Künstliche Pflanzen“ ist Kunsttherapeut Oliver Teuscher aus dem „Haus Erntekranz“. Angeregt durch die zum von April bis Oktober 2017 nicht allzu weit entfernt stattfindende „Internationale Garten-Ausstellung“ (IGA Berlin), entwickelte er die Idee, eine Kunstinstallation mit phantasievollen Pflanzen entstehen zu lassen. Als Projektpartner konnten das Ausstellungszentrum Pyramide in Marzahn-Hellersdorf sowie die örtliche VHS gewonnen werden. Dabei ist das Ganze als Mitmach-Projekt angelegt und verwirklicht darüber hinaus Inklusion. Menschen mit Behinderungen, Schulklassen, Vereine und Privatpersonen und außerdem Kinder und Jugendliche aus den bundesweiten Einrichtungen der Ev. Jugendhilfe Friedenshort waren und sind zu künstlerischer Aktivität eingeladen, um das Gewächshaus mit Pflanzen aus Papier, Pappe und anderen Materialien zu füllen.

Die Vernissage hieß Richtfest, weil sie Auftaktcharakter hatte. Denn die Ausstellung soll und wird erst noch richtig entstehen, weiter wachsen und sich dabei stetig verändern. „So wie es jetzt ist, kann es auf keinen Fall bleiben“, brachte es Oliver Teuscher bei seiner Begrüßung auf den Punkt. Es handele sich daher nicht um eine Ausstellungseröffnung im herkömmlichen Sinne, sondern um die gemeinsame Feier des Auftakts zum Ausstellungsaufbau. Um jedoch schon einmal einen Eindruck zu vermitteln, seien einige Exponate bereits zu sehen. „Quasi als Hausherrin freue ich mich sehr über die Zusammenarbeit mit dem Tiele-Winckler-Haus und auf einen tollen Nachmittag“, hatte Julia Witt, Bezirksstadträtin für Jugend, Familie, Weiterbildung und Kultur in Marzahn-Hellersdorf zuvor die Gäste begrüßt (Das Ausstellungszentrum Pyramide gehört zum Fachbereich Kultur des Bezirksamtes). Corinna Jürging, Einrichtungsleitung „Haus Erntekranz“, hob die große Beteiligung von Bewohnern und Mitarbeitenden hervor. Ihr besonderer Dank ging an Oliver Teuscher und Peter Renkl (Musiktherapeut im „Haus Erntekranz) als Vorbereiter der Vernissage, an der zudem Daniela Thomsen-Nickau beratend mitgewirkt hat: „Wir sind alle schon sehr gespannt, was uns erwartet.“

Spätwerk Goethes als roter Faden

Für die Performance mit wechselnden Schauplätzen innerhalb und außerhalb des Ausstellungszentrums bildeten die „Orphischen Urworte“ von Johann Wolfgang v. Goethe den roten Faden. Dieser Zyklus gehört zu den weltanschaulichen Gedichten der Altersphase Goethes. Es entstand aus den Versuchen des Dichters, die Gesetzlichkeit des Lebens anhand einer so genannten „Urpflanze“ und „Urphänomenen“ zu erkennen. Den Begriff der „Urpflanze“ verwendete Goethe in seinen botanischen Studien. Er stellte sich darunter eine Pflanze vor, „die den Typus einer Blütenpflanze schlechthin verkörpert und aus der man sich alle Pflanzengestalten hervorgegangen denken kann“ [zitiert n. Wikipedia]. Untermalt wurde das in Abschnitten vorgetragene Gedicht jeweils durch viele verschiedene Gastmusiker, Ausdruckstänzerinnen einer Eurythmie-Gruppe und der Tanzgruppe Lichtenrade-Süd.

Eine schöne Idee, um den Beginn des Wachstums anschaulich über die gesamte Vernissage hinweg zu illustrieren: Nach und nach füllte sich das Foyer des Ausstellungszentrums mit Setzlingen. Bewohnerinnen und Bewohner aus Einrichtungen des Tiele-Winckler-Hauses sowie aus Heiligengrabe brachten immer mehr dieser Jungpflanzen hinein, die von Thekla Thrun (AWG Märkische Allee) in ein imaginäres Beet gepflanzt wurden. Dass der Mensch zerstörerisch und nicht immer zum Wohl der Schöpfung agiert, griff die Performance ebenfalls thematisch auf. Als Grünpflanzen gekleidete Bewohner aus dem „Haus Erntekranz“ tranken aus Reagenz-Gläsern, die ihnen Agrar-Chemiker reichten, was seine negativen Auswirkungen sichtlich nicht verfehlte.

Anleihen an Joseph Beuys

Und rabiat ging draußen Georg Kindler mit der Motorsäge zu Werk und zerlegte mehrere Pflanzen in Einzelteile. Bewahren und Zerstören als Gegensätzlichkeit – die Idee einer Dialektik vollzog sich auch im Monolog von Joseph Beuys, den Kerstin Schiffer vortrug: Ja, ja, ja – Nee, nee, nee. Mehr als diese beiden Ausdrücke brauchte es dazu nicht, um die "unaufhebbare Dialektik des (alltäglichen) Lebens zu einem ironischen Sinnbild zu machen" [zit. n. medienkunstnetz.de]. Schön, dass es bei der Vernissage nicht nur ernst und inhaltsschwer zuging. Bei den jungen Musikerinnen und Musikern mit ihrem Akkordeon aus der Musikschule Fröhlich war der Name Programm. Bewohnerinnen und Bewohner sowie Mitarbeitende aus verschiedenen TWH-Einrichtungen musizierten und die Band um Michael Binder (ebenfalls „Haus Erntekranz“) trat auf. Sein Schlager „Jeder Tag ist ein neuer Anfang“ passte sogar gut zum Thema.

Die Kunst-Installation ist nun keineswegs abgeschlossen - im Gegenteil. Die Vernissage war Auftakt der so genannten "Pflanz-Zeit", die sich vom 11. Juli bis 30. August 2017 erstreckt. In diesem Zeitraum verändert sich die Ausstellung permanent. Jeden Dienstag und Mittwoch werden die vorhandenen Exponate in die Gartenlandschaft des Gewächshauses eingebaut, so dass die Kunst-Installation passend zur Idee einen tatsächlich organischen Charakter bekommt. Die "Pflanz-Zeit" richtet sich dabei auch an betreute Schüler-Gruppen oder Gruppen aus anderen Betreuungseinrichtungen. Bei Spielen, Musik und eben dem "Einpflanzen" soll eine fröhliche Gemeinschaft untereinander und zu den beteiligten Bewohnerinnen und Bewohnern des Tiele-Winckler-Hauses entstehen. Das Kunst-Projekt endet mit der Finissage am 1.September.

Links

<link internal-link internal link in current>Opens internal link in current windowDia-Show zur Ausstellung

<link http: www.friedenshort.de typo3 external-link-new-window external link in new>Opens external link in new windowVorankündigung des Projektes aus Frühjahr 2017

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