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Unterlagen, kontrollierte Hausaufgaben uvm. wurden kontaktfrei via Briefkasten ausgetauscht | (c) Symbolfoto: Christian / Adobe Stock
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Das Auto wurde zeitweise zum mobilen Büro und zur Kommunikationszentrale bei den Ambulanten Hilfen | (c) Symbolfoto: rido / Adobe Stock

Kinderschutz auf Distanz?

Erstellt von Kathrin Hampfe – Bereichsleitung |

Ambulante Hilfen in Zeiten der Pandemie – ein Bericht aus der Einrichtung Tostedt.

Tostedt. Konflikte, Aggressionen, vermüllte Wohnungen, finanzielle Engpässe, fehlende Strukturen, durch psychische Erkrankungen belastete Eltern, Überforderung, hyperaktive Kinder: Für viele der im Rahmen der sozialpädagogischen Familienhilfe betreuten jungen Menschen und deren Eltern ist der Alltag eine immense Herausforderung. Eben diese Familien saßen nun sozial isoliert in ihrem häufig arg beengten Wohnraum. Rückzugs- oder Schutzorte außerhalb der eigenen Familie fielen weg. Hinzu kamen massive Ängste aufgrund der neuen Situation, viele fühlten sich bedroht durch das neue, unerforschte Virus. Aufgrund von Sprachbarrieren erreichten die Informationen über die Medien viele Familien zudem nur eingeschränkt. Eltern, die aus unterschiedlichen Gründen ohnehin mit der Versorgung und Betreuung ihrer Kinder massiv an persönliche Grenzen stießen, erfuhren keinerlei Entlastung mehr durch Schule, Kita und Nachmittagsbetreuung. Besuche und auch Unterstützungsmöglichkeiten durch Oma und Opa waren tabu. Zusätzlich sollten genau diese Eltern ihren Kindern im Homeschooling zur Seite stehen, die technischen Voraussetzungen dafür wurden von so manchen Schulen als in allen Familien gegeben angenommen.

Die ambulante Truppe war nun noch intensiver gefragt als sonst: um zu trösten, beraten, beruhigen, informieren, unterstützen und einen Blick auf das Wohlergehen der Kinder zu haben. Das Ganze aber möglichst ohne persönlichen Kontakt und mit einem großen Rucksack an eigenen Sorgen als ständigen Begleiter: Angst um die eigene Gesundheit und um das Wohl nahestehender Menschen sowie organisatorische Schwierigkeiten, denn die eigenen Kinder saßen ebenfalls zu Hause und wollten bespaßt, beschäftigt, beaufsichtigt und beschult werden. Und auch hier konnten die Großeltern nicht mehr guten Gewissens angefragt werden.

Das Ausfüllen von Anträgen, das Formulieren von Anschreiben war gemeinsam mit den Familien in den engen Wohnräumen vorerst nicht zu empfehlen. Hier zeigten sich die Familienhelfer kreativ: Unterlagen abholen, im Auto ausfüllen, gegebenenfalls per Telefon Details erfragen, Unterlagen zur Unterschrift wieder an der Haustür abgeben. Kontaktlose Hilfe in schulischen Belangen gelang ähnlich: Arbeitsblätter der Schülerinnen und Schüler wurden im Auto kontrolliert, telefonisch besprochen und mit Anmerkungen und Tipps wieder reingereicht. Auch Nachhilfe per Videochat war im Leistungsangebot.

Gegen Langeweile halfen Bastelmaterial nebst schriftlicher Anleitung, liebevoll in Briefkästen deponiert oder vor Haustüren abgelegt. Eine Kollegin berichtete von gemeinsamen Kindertänzen via Videochat. Gründliches Händewäschen kann man ebenfalls per Videochat üben, nachdem das Smartphone dann zum zweiten Mal ins Waschbecken gefallen ist, ist auch dieses virenfrei. Happy Birthday singen kann inzwischen vermutlich jeder im Team in mindestens in fünf Sprachen.

Während die Kommunikation mit den meisten Elternteilen per Messangerdienst, Telefon und Videotelefonie vorbildlich funktionierte und auch viele der älteren Jugendlichen zumindest kurzzeitig zu einem solchen Austausch bereit waren, hatten die jüngeren Kinder dazu auf Dauer natürlich wenig Lust. Mit dem Wegfall von Schule, Kita und Sportvereinen gab es jedoch im Alltag niemanden mehr, der einen Blick auf die Kinder und die zumeist instabile familiäre Situation hatte. Das hieß für die Familienhelfer bereits nach kurzer Zeit, bei den Klientinnen und Klienten wieder persönlich vorstellig zu werden. Die Kinder freuten sich, die Helfer wurden prompt umarmt, gekuschelt und auch mal kräftig angehustet. Die Treffen wurden nach Möglichkeit an die frische Luft verlegt.

Eine Umfrage des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) ergab, dass sich mehr als 70 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen durch die Corona-Krise seelisch belastet fühlen. Stress, Angst und Depressionen haben zugenommen, das Risiko für psychische Auffälligkeiten habe sich fast verdoppelt. Die Studienleiterin Ulrike Ravens-Sieberer erklärt, dass vor allem Kinder aus sozial schwächeren Familien betroffen seien, und fordert Konzepte, um diesen Familien im Falle einer zweiten Infektionswelle zeitnah helfen zu können: Das ambulante Team ist längst dabei, unerschrocken und ideenreich.

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