"Wegschließen und Wegsehen - unser Weg?"

Erstellt von H.Siebel |

Freudenberg. Fachtermini wie „grenzüberschreitende Jugendliche“ oder „Systemsprenger“ deuten es bereits an: Stößt die Jugendhilfe mit ihren Möglichkeiten irgendwann an ihre Grenzen? Bleibt mit Blick auf zunehmende Aggressivität und kriminelles Verhalten für eine bestimmte Klientel nur noch die geschlossene Unterbringung? Muss der diakonische Auftrag tatsächlich so umfassend ausgelegt werden, dass niemand außen vor bleiben darf? Es war ein heikles und durchaus kontroverses Thema, dem sich jetzt 42 leitende Mitarbeiter der Evangelischen Jugendhilfe Friedenshort GmbH sowie der Tiele-Winckler-Haus GmbH bei ihrer Herbsttagung widmeten. Und eines wurde dabei schnell deutlich: Der Diskussionsbedarf ist so groß, dass dieses Thema nicht im Rahmen einer Tagung abschließend behandelt werden kann. Der populistische Ruf nach mehr Härte, nach einem „Ende der Kuschelpädagogik“ ist zuletzt wieder lauter geworden. So will zum Beispiel der Hamburger Senat die geschlossene Unterbringung von Jugendlichen wieder einführen – zunächst sind 90 Plätze vorgesehen. Auch in verschiedenen Fachkreisen gehe es in der Diskussion längst nicht mehr um das „Ob“, sondern bereits um das „Wie“ einer geschlossenen Unterbringung, wie Pfarrer Leonhard Gronbach, Leitender Theologe und Vorsitzender Geschäftsführer der Ev. Jugendhilfe Friedenshort, in seinem Eingangsreferat betonte. Jenseits der Tendenz von Aktionismus und dem Ruf nach schnellen Lösungen gebe es aber eine Grundsatzproblematik: „Wir können beim bisherigen ,Nein’ zur geschlossenen Unterbringung bleiben, wir können aber auch eine fachliche Diskussion darüber führen.“ Auf keinen Fall werde es nach dieser Tagung aber eine Art Marschbefehl geben. Gastreferent Sergio Chow, Referent für Erziehungshilfen im Diakonischen Werk der Ev. Kirche von Westfalen, begründete seine Ablehnung einer geschlossenen Unterbringung: „Aus einem ,Jein’ kann schnell ein ,Ja’ werden, es geht hier um eine grundsätzliche Haltung.“ Freiheitsentzug schränke die pädagogischen Möglichkeiten ein. Zudem habe Jugendhilfe auch die Aufgabe die demokratischen Grundrechte von Kindern und Jugendlichen zu schützen. Freiheitsentzug dürfe allenfalls als eine Art „Ultima Ratio“ gelten und solle absoluten Ausnahmefällen vorbehalten bleiben. Hierfür gelte es, hohe Schwellen aufzubauen. Chow wehrte sich gegen einen Hang zum Obrigkeitsstaat, der seiner Meinung nach in Deutschland existiere. Zudem würden die Möglichkeiten der Freiheitsbeschränkung noch längst nicht ausgeschöpft. Hierbei handelt es sich um individuelle, kurzzeitige Maßnahmen, während Freiheitsentzug immer per Gerichtsbeschluss erfolgt und einen Arrest von mehr als 24 Stunden meint, der gegen den Willen der betreffenden Person erfolgt. Freiheitsbeschränkende Maßnahmen sollten nach Ansicht des Referenten in einem Forschungsprojekt untersucht werden. Darüber hinaus verdeutlichte er noch mal das Spannungsfeld, in dem sich eine diakonische Jugendhilfe bewegt: „Folgen wir dem Grundsatz, dass niemand verloren gehen darf oder kalkulieren wir für gewisse Fälle unser Scheitern ein?“ Aufgrund des hohen Diskussionsbedarfs verabschiedeten die Tagungsteilnehmer einen Katalog von Fragestellungen, der den Rahmen für die weitere Behandlung des Themas bilden soll. Neben der Grundsatzfrage, ob der Einschluss von Jugendlichen mit dem eigenen Leitbild überhaupt vertretbar ist, soll unter anderem geprüft werden, welche Konzepte als Alternative zur geschlossenen Unterbringung existieren, wie ein Katalog freiheitsbeschränkender Maßnahmen aussehen kann und welche Handlungsanweisungen in Zukunft die Arbeit der Evangelischen Jugendhilfe Friedenshort prägen können.

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