Engagierte Bewahrer von "Mutter Evas Erbe"

Erstellt von Henning Siebel |

Unsere Reportage führt nach Miechowitz/Oberschlesien zum ursprünglichen Gelände des Friedenshortes und zu Pfr. Jan Kurko und seiner evangelischen Gemeinde, denen die alten Gebäude ein Herzensanliegen sind.

Miechowice/Polen. Wer mit Pfr. Jan Kurko über das Gelände des alten Friedenshortes in Miechowitz schreitet, gewinnt derzeit den Eindruck, dass man eher mit dem Leiter einer Großbaustelle unterwegs ist, als mit einem Gemeindepfarrer. Hier ein prüfender Blick, dort eine kurze Absprache mit dem Maler, Maurer oder Tischler. Rund 30 Handwerker sind in mehreren Häusern sowie der Friedenshort-Kirche gleichzeitig aktiv. „Jedes Gebäude bedeutet einen Prozess“, erzählt Pfr. Kurko. Und mit Prozess meint er nicht nur den Fortgang der Arbeiten, sondern vor allem einen tatsächlichen Gerichtsprozess – geführt mit dem örtlichen Bergwerk. Das komplette Gelände ist unterhöhlt, Gebäude sacken ab, von den ursprünglichen Häusern, die zu Mutter Evas Zeiten zum Friedenshort gehörten, stehen nur noch rund die Hälfte. Sie mussten wegen zu starker Einsturzgefahr abgerissen werden. Allerdings hat sich Eva von Tiele-Winckler, bekannt für ihre vorausschauende Denkweise, zu Lebzeiten vertraglich für einige der Gebäude zusichern lassen, dass das Bergwerk für etwaige spätere Schäden haftet.

Es ist ein recht milder Tag Ende Oktober 2018. Die Sonne bescheint die neuen, mit roten Steinen gepflasterten Wege, die sich harmonisch um die Backsteingebäude winden. Als kleine Delegation – Oberin Sr. Christine Killies, Sr. Gisela Otte, Öffentlichkeitsreferent Henning Siebel – sind wir zu Gast bei der Parafia Ewangelicko-Augsburska in Polen. Die evangelische Diaspora-Gemeinde im oberschlesischen Miechowitz ist nach dem 2. Weltkrieg Besitzer des Friedenshort-Geländes geworden. Dies nicht nur zu verwalten, sondern auch zu bewahren, die Geschichte des Wirkens der Friedenshort-Diakonissen und das Leben Mutter Evas der Öffentlichkeit bekannt zu machen, ist ein Anliegen von Pfr. Kurko und seiner Gemeinde.

Dies ist eine große Aufgabe. Aber der praktisch veranlagte Gemeindeleiter, der vor seinem jetzigen Beruf als Theologe schon Bergmann und Dreher war, ist vielleicht hierfür genau richtig (vgl. auch nachfolgendes Interview). Nicht ohne Stolz zeigt er das komplett renovierte Pfarrhaus mit Büros und Gemeinschaftsräumen. Die Heizung ist auf dem allerneuesten Stand der Technik und funktioniert als Wärmepumpensystem, welches die Außenluft zum Heizen nutzt. „Wir versorgen von hier aus sogar mehrere Gebäude“, betont Pfr. Kurko. Bezugsfertig ist auch das neu gebaute Alten- und Pflegeheim mit hellen, freundlichen Zimmern, Cafeteria und Physiotherapie-Räumen. Es ist an der früheren „Lindenallee“ direkt gegenüber dem bisherigen Altenheim entstanden, welches aufgrund der massiven Bergbauschäden abgerissen werden muss. Es ist geplant, dort zwei oder drei Häuser für betreutes Seniorenwohnen zu bauen.

Bienenvölker im Haus Friedenshort gefunden

Unweit des Altenheims steht mit „Haus Friedenshort“ das älteste Gebäude auf dem Gelände, dort begann 1890 die sozial-diakonische Arbeit Mutter Evas. Die Sanierungsmaßnahmen für das Haus haben bereits 2016 begonnen. Am Anfang stand die Geradestellung des Gebäudes, es wurde auf einer Seite hydraulisch um 81 Zentimeter angehoben. Ein Stahlsystem sorgt für die Stabilität. Das Fundament wurde ebenfalls erneuert, außerdem Teile des Daches. Das Haus hat eine neue Heizung und neue Fenster bekommen. Im 1. Stock in der kleinen Kapelle wird momentan eine Fußbodenheizung installiert. Der Fußbodenbelag wurde dabei ebenfalls erneuert. „Wir werden auch den Altarbereich mit der kleinen Kanzel renovieren“, erläutert Pfr. Kurko. Als die Handwerker an einer bestimmten Stelle im Haus den Fußboden geöffnet haben, gab es übrigens eine große Überraschung. Dort hatten sich Bienenvölker angesiedelt! Ein Imker hat die Bienen mit ihren Waben umgesiedelt. „Aus dem gewonnenen Honig habe ich 10 Flaschen Honigwein hergestellt“, berichtet Pfr. Kurko schmunzelnd. Geplant ist, dass die Arbeiten an Haus Friedenshort bis Ende 2018 abgeschlossen sind.

Die Friedenshort-Kirche ist eines der besonderen Anliegen von Pfr. Kurko. Sie ist nun schon seit mehr als sechs Jahren geschlossen, die Gottesdienste finden in der „Zionsstille“ statt. „Wenn alles läuft wie geplant, wollen wir im April 2019 die Wiedereröffnung feiern! Bei den Bauarbeiten haben wir übrigens Ornamente entdeckt, die nicht mehr sichtbar waren und nun freigelegt wurden. Anhand alter Fotos konnte man sehen, wie manche Dinge in früherer Zeit ausgesehen haben“, freut sich Pfr. Kurko.  Auch musste die Sakristei umfangreich erneuert werden und die Kirche hat nun eine Heizungsanlage!

Bei Mutter Evas Häuschen angelangt, fällt sofort das neu gedeckte Dach auf. Innen tummeln sich Handwerker, das Haus ist vollständig leergeräumt. Zunächst musste es angehoben werden, es war seitlich um rund einen halben Meter abgesackt. „Wir haben alle Gegenstände inventarisiert und zwischengelagert, die über 4.000 Bücher und Schriften werden momentan in Kattowitz professionell gereinigt“, erzählt Pfr. Kurko. Die Räume werden momentan renoviert. Das Haus bekommt derzeit auch eine Heizung, es soll als Museum neue Attraktivität gelangen: „Die Räume sollen ungefähr zu 80 Prozent wieder so aussehen wie früher. Unten links, wo früher Sr. Marta gewohnt hat, soll eine völlig neue Ausstellung entstehen. Zum einen über Mutter Eva, aber auch über die Diakonissen, die danach dort gelebt haben.“

Neue Konzepte für das Museum

Dies ist auch ein besonderes Anliegen von Anna Seemann-Majorek. Die sympathische junge Frau leitet seit einigen Jahren das Museum und bereitet federführend konzeptionell dessen Zukunft vor. Außerdem beschäftigt sie sich in ihrer Doktorarbeit mit dem Friedenshort zu Mutter Evas Zeiten und dessen Einordnung in den Kontext damaliger gesellschaftlicher und auch technischer Entwicklungen. „Ich bin schon als Kind mit meiner Mutter immer wieder gerne dorthin gegangen und habe Sr. Marta besucht“, berichtet sie. Über viele Jahrzehnte hinweg hat Sr. Marta Grudke als letzte auf dem Gelände lebende Diakonisse Mutter Evas Häuschen bewohnt und auch für Besucher geöffnet. Die 89-Jährige ist seit einigen Jahren sehr pflegebedürftig und wird privat in einer Familie liebevoll betreut, die ihr sehr zugetan ist, wie beim Besuch einen Tag zuvor deutlich wurde.

Die Zukunftspläne für Mutter Evas Häuschen reifen derzeit. „Für uns ist aber klar, dass wir nicht nur das Haus isoliert als Museum zeigen wollen“, sagt Pfr. Kurko. Bei Gruppenführungen über das Gelände soll das Wirken der Friedenshort-Diakonissen deutlich werden. Anna Seemann-Majorek möchte darüber hinaus verstärkt außerhalb des Geländes über den Friedenshort und Mutter Eva berichten, zum Beispiel in Schulen. Auch sollen die online zugänglichen Informationen ausgebaut werden. Von Öffentlichkeitsreferent Henning Siebel gibt es hierfür die Zusage, in diesem Bereich zukünftig zusammenzuarbeiten. Teils ergeben sich aber auch auf andere Weise interessante Kontakte durch Menschen mit persönlichen Erinnerungen, wie Anna Seemann-Majorek berichtet. So hat sich zum Beispiel ein Mann als Besucher angekündigt, der als Kind im Friedenshort gelebt hat und nun in England wohnt. Seinerzeit hatte ihm Sr. Annie Whisler, Mutter Evas „rechte Hand“, zusammen mit anderen Kindern die Flucht nach England ermöglicht. Offenkundig wurde ihm das Land zur neuen Heimat.

Begegnungen ermöglicht auch der aktuelle Besuch. Nach dem sonntäglichen Gottesdienst, der momentan bis zur Wiedereröffnung der Friedenshort-Kirche noch in der Zionsstille stattfindet, wird Oberin Sr. Christine freudestrahlend von einem älteren Mann angesprochen. „Ich kann mich noch so gut an die Diakonissen erinnern“, sagt Grzegorz Markwart, der zusammen mit seiner Frau auf dem Gelände im „Haus Elim“ lebt. „Wir sind 1946 als Kinder in den Friedenshort aufgenommen worden“, berichtet er. Seinerzeit war es so, dass die nicht deutschstämmigen Diakonissen zunächst noch auf dem Gelände verbleiben durften. Aus seiner Kindheitsgefährtin wurde später seine Frau. Mit herzlichen Segenswünschen verabschiedet Grzegorz Markwart Sr. Christine, außerdem gehört er nun zu den Abonnenten dieses Magazins.

Drei eindrückliche Tage bleiben in Erinnerung, verbunden mit der Freude, dass es Menschen jüngeren Alters und anderer Nationalität gibt, denen die Wirkungs- und Ursprungsstätte des Friedenshortes dennoch ein besonderes Anliegen ist und die mit großem Einsatz die Erinnerung daran lebendig halten möchten.

Links

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